Idyllische Ruinen - ruinierte Idylle

Novalis: „Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.“

 

 

 

 

Der Arbeitstitel dieser Serie „Idyllische Ruinen - ruinierte Idylle“ umfasst den Widerspruch, der in jeder Arbeit steckt, die sich dem Romantischen nähert. Jede Hinwendung zur Romantik ist Realitätsverlust. Er ist gewollt und zieht die alleinige Tragfähigkeit von empirisch nachweisbaren Fakten in Zweifel.

Ruinen sind über den Akt einer Zerstörung hinaus Symbole. Sie sind also per se romantisch, weil sie in einer auffälligen Form auf ein diffuses Vorleben, etwas unfassbar Vergangenes hinweisen. Es sind nicht die bloßen Steine und andere Materialien, die die Bedeutungen vermitteln, sondern unsere Vorstellung, Projektionen, Einbildung und unser Wissen vom Zerstörungsakt und dem, was dazu führte.

In der Romantik selber war die Ruine Sinnbild für die (zerstörte) Bindung an die idyllische Vorzeit, einer Idylle von kirchlicher und weltlicher Einheit, die es so nie gegeben hatte. Gleichzeitig war es das Symbol einer Gewahrwerdung von Isolation und Freiheit des Ichs. Eine Person, aus einer nie existierenden Einheit gefeuert, gleicht einem Torso, einem menschlichen Wrack, einer Ruine. Weder Zukunft noch Vergangenheit bieten Verheißung. Dann steht sie am Strand, wie ein Mönch, und schaut in Finsternis: Weit entfernt vom amerikanischen „Persuite of happiness“!


Der 50er-Jahre Bau, der heute im Einverständnis aller eingerissen wird, eignet sich nicht für solch symbolische Befrachtung. Er verschwindet und nichts gibt ihm einen späteren hohen Sinn oder Geheimnis, Schrecken oder Würde.

Wie viele Ruinen habe ich gesehen, wie viele musste ich, wie viele wollte ich sehen? Ich bin nicht in Ruinen aufgewachsen, konnte sie aber täglich sehen. Osnabrück war zu 66% zerstört aber es war nicht Berlin, nicht Dresden oder nicht Hamburg. Meine erste Empfindung von Ruinen war zwiespältig. Einerseits schien es schon Gras überwuchert auf lange vergangene Zeiten zu verweisen, andererseits war ihr Herstellungsakt, die Zerstörung, in den Erzählungen der Erwachsenen sehr präsent. So schwarz wie die Fensterlöcher, so schwarz lagen sie im zwiespältigen Dunkel. Etwas zwang mich dazu, sie übersehen zu sollen. Jede Ruine, die verschwand, erzeugte ein Aufatmen und einen Wunsch, endlich alle verschwinden zu lassen. Es war, als würde sich der Drang der Erwachsenen, zur Normalität zurückzukehren, auf mich übertragen. Lieber eine glatte Backsteinwand mit quadratischen Fenstern, als Grasbüschel in einem verformten gelben Steinhaufen.

Der Marktplatz Osnabrücks mit spätgotischem Rathaus und gotischer Marienkirche war lange Zeit nur von Fassaden alter Treppengiebelhäuser gesäumt. Sie standen mit ihren Fensterlöchern vor hellem Himmel wie potemkinsche Dörfer. Ich kannte den Grund der Zerstörung, konnte ihn aber eigentlich nicht begreifen. Eines Tages fiel einer dieser Giebel um und begrub unter sich einen Schrotthändler, der alte Bleileitungen suchte. Unmittelbar danach begann der Wiederaufbau der Häuserzeile. Unsinnigerweise brachte ich diese beiden Ereignisse in eine Ursache und Folge Relation.
Wie sich solche Sichtweisen verfestigen, davon kann Potemkin, der Geliebte Katharina Romanows, ein Lied singen. Seine Dörfer gab und gibt es überall, nur nicht zu seiner Zeit in Russland. Die letzten sah ich in der marokkanischen Wüste für Hassan II. erstellt.
Fortan war mein Blick geschärft, Hinterlassenschaft genauer zu betrachten. Was war dort gewesen, was wird dort hinkommen. Allmählich verschwanden die Ruinen als Störfaktor. Dort wo sie nicht durch Neubauten, Backsteinlangeweile, dänisch Klinkeröde - sinnigerweise von der „Neuen Heimat" - ersetzt wurden, vernarbte die Stadt im einstöckigen Kiosk, in Brettergeschäften. Noch heute sieht man jeder deutschen Großstadt diese Hinterlassenschaft an: abrupte Lücken, Brandwände, wie ein schlechtes Straßengebiss:
Schnitt: Wir betreten die Ruinenfelder des Forum Romanum. Der Blick verändert sich. Wenigstens steht es in allen Büchern, dass das Zeugen vergangener Größe und nicht selbstverschuldeten Größenwahns sind. Ist es meine Ehrfurcht oder die über Bücher, Reisende, Historiker vermittelte, ich weiß es nicht. Jedenfalls sehen diese Ruinen leuchtend aus, nicht nur deswegen hell, weil die Sonne mediterran ist. Von Trier bis Südeuropa, Italien, Griechenland bis Mexiko, und viele Orte, die ich nur von Fotos kenne. Überall Ruinen, geschützt, befestigt, blank poliert vom Strom der Besuchergruppen. Wie der Zeh im Petersdom im Vatikan! Nur schwerlich entsteht Imaginationskraft über die vergangenen Zeiten, über Ausdehnung und Funktion von Reichen und Herrschaft, über Reiche und Herrschaften, über das alltäglichen Leben nachzudenken, über die „gotische“ Barbarei, über das mehr als tausendjährige Leben in Ruinen Roms, über Vandalen und Vulkanausbrüche nachzudenken. Entweder ist es zu heiß oder der Park wird gerade geschlossen! Entweder lähmt der didaktische Pfad durch die Steine die Fantasie oder die Anwesenheit von laufenden Chips- und Eistüten.
Die eindringlichsten Erlebnisse in Ruinen hatte ich in Berlin in den 70er-, auch noch 80er-Jahren. Aus irgendwelchen Gründen war plötzlich der Blick auf die Ruinen nicht mehr verstellt. In Westdeutschland gab es schon keine Ruinen mehr, in Berlin blieben sie stehen und verloren so langsam den bedrohlichen Charakter eines von Deutschen selbst verschuldeten Unterganges.
Zugleich wurden die klassischen Ruinenfelder eingezäunt zum Zoo teurer Steine. Sie wurden unerträglich. Es gab keine Geheimtipps mehr, wie z.B. der „Parco dei Mostri“ von Bomarzo, der frei zugänglich, aber sehr versteckt in den Bergen lag. Er gehört zwar nicht zu den klassischen Ruinenfeldern, sondern ist ein 1552 im Auftrage Vicino Orsinis entstandener „typischer Privatgarten, ein intellektuelles, ein ästhetisches Schauerarkadien“ (G.R. Hocke), aber er war verwahrlost, versteckt, kurz ruiniert. Er sperrte sich, begriffen zu werden und diesen Akt seinen Manierismus zu begreifen musste man selbst organisieren. Heute zahlt man 8 € für Eintritt und Wegeplan.